
Stellt euch endlose blühende Rapsfelder vor, darüber ein blauer Himmel mit ein paar dahingestreuten Wattewölkchen. In der Luft liegt der süße Honiggeruch der gelben Blüten, ab und an mischen sich würziger Wiesenduft oder eine liebliche Fliederbrise darunter. Ja, so schön kann der Frühling sein. Und glücklicherweise zeigte er sich Pfingsten von seiner besten Seite, als sich das wilde Herz und sein Herzallerliebster aufmachen ans Ende der Welt. Oder naja, fast.
Verlässt man die Ostseeautobahn A20 irgendwo hinter Greifswald, fährt man durch wunderschöne Alleen und Felder immer weiter Richtung Polen und dann, am Ende der Straße, nochmal ein kleiner Ort. Lassan. Tatsächlich sogar eine Stadt, obwohl sie mit rund 1500 Einwohnern kleiner ist als so manches Dorf in Deutschland. Es gibt zwei Kopfsteinpflasterstraßen, die parallel runter zum kleinen Hafen führen. Dann ist wirklich Ende Gelände, man blickt übers Wasser – den Peenestrom – und dahinter: Usedom. Von der Betriebsamkeit der berühmten Ferieninsel mit den stattlich aufgemotzten Seebädern ist in Lassan nichts zu spüren. Dicht an dicht stehen die Häuser an den Straßen, in denen mehr Kinder spielen als Autos fahren. Einige Häuser sind morbide verfallen, unbewohnt mit verbretterten Fenstern, andere liebevoll restauriert, die traditionellen Holztüren leuchtend bunt lackiert.

Wir logieren in der Ackerbürgerei, einer kleinen Pension in der Mitte einer der beiden Kopfsteinpflasterstraßen. Von unserem Balkon haben wir freie Sicht auf den verwunschenen Garten des Gasthauses, in dem Blumen neben duftenden Kräutern wachsen. Unten kann man in der Sonne frisch gebackene Waffeln essen oder sich mit dem selbstbewussten Tigerkater des Hauses anfreunden. Als wir den Garten genauer erkunden, treffen wir außerdem auf ein paar Meerschweinchen, Kaninchen und eine Schildkröte mit ausgeprägtem Fußfetisch. Nur durch ein hingehaltenes Löwenzahnblatt lässt sich das Panzertier davon abhalten, meine Schuhe anzuknabbern. Uns schmeckt der gebratene Dorsch zum Abendessen.

Überall im Ort entdecken wir versteckte Kleinode. In Lassan und Umgebung haben sich viele Künstler und Kunsthandwerker niedergelassen, die über Pfingsten ihre Ateliers und Werkstätten öffnen. Wir bestaunen die Werke eines Bildhauers, sehen einer Spinnerin am Rad zu und bewundern handgefertigte Kostbarkeiten aus Papier. Aber noch schöner ist die wunderbare Natur mit Wald, Wasser und Wiesen. Und die Ruhe. Hierher verirrt sich nur, wer gerne segelt, angelt, wandert oder Radtouren unternimmt und dabei auch mal eine Weile mit sich selbst klar kommt. Den Soundtrack dazu bilden Spatzengetschilp und Schwalbengeschnatter.

Am Pfingstmontag besuchen wir den Kräutergarten Pommerland in Pulow, einen kleinen Ort, den wir über eine lange, wunderschöne Mirabellenallee erreichen. Geschäftsführerin Christiane Wilkening erzählt, wie aus einem ABM-Projekt in über 15 Jahren eine umtriebige und erfolgreiche Teemanufaktur geworden ist. In einer ehemaligen Schweinemastanlage beschloss eine Handvoll Pioniere 1999, Kräuter anzupflanzen und als Tee zu vermarkten. Dank viel (Hand-)arbeit, Durchhaltewillen, reichlich Idealismus und der Unterstützung einer Produktivgenossenschaft mit mittlerweile über 100 Gesellschaftern wuchs das Projekt, trotz aller Rückschläge und Widrigkeiten. Heute sind die Tees in Bioläden, zum Beispiel bei Erdkorn, Alnatura oder Tjaden, erhältlich.

Wir beschnuppern auf dem Feld die Orangenminze und im Gewächshaus die Verbene. Die kostbarsten Kräuter ziehen und trocknen die Pulower selbst, die anderen werden zugeliefert, zum Beispiel von Usedom oder aus Polen. In Demeter-Qualität, versteht sich. Im Betrieb mischen viele fleißige Hände die Ware und packen sie ab. Insgesamt gibt es 24 Mischungen und sortenreine Kräutertees. Für daheim kaufe ich zwei brandneue Tees „Wurzeln für den Geist“ und „Blüten für den Körper“.
Auf dem Rückweg machen wir auf Usedom einen kurzen Halt, lassen uns ein Backfischbrötchen schmecken und staunen über die Menschenmassen am Strand und auf der Promenade. Welch ein Kontrast zur Bullerbü-Idylle von Lassan! Das Ende der Welt hat uns bestimmt nicht zum letzten Mal gesehen.

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