Bei einem Besuch in meiner alten Heimat, dem Siegerland, habe ich einen Abstecher an den Fuß des Rothaargebirges gemacht. Genauer gesagt, nach Walpersdorf mit seinen schönen Fachwerkhäusern. Hinter dem Dorf beginnt die Landstraße, sich durch dichten Mischwald in engen Kurven bis zur Quelle der Sieg hinaufzuschrauben. Dort am Ortsausgang liegt die eigentliche Attraktion der Gegend: ein Köhlerplatz, einer der wenigen noch regelmäßig betriebenen des Siegerlandes. Ich habe Glück und treffe nicht nur einen frisch angesteckten, dampfenden Meiler an, sondern auch den Köhler Bruno Wagener, der mich in die Geschichte seines Handwerks einweiht und erzählt, wie er aus Holz Kohle macht.
Wie es seit hunderten von Jahren Tradition ist, baut Wagener den Kohlenmeiler: Auf einer ebenen Fläche errichtet er einen senkrechten Schacht aus Stangen, die so genannte Föll. Darum herum wird in mehreren Schichten Laubholz wie Eiche, Birke und Buche aufgestapelt, bis ein Iglu-artiges Gebilde entstanden ist.
Das Holz deckt der Köhler luftdicht ab, zuerst mit einer Schicht Heu oder Rasen, dann mit einer Umhüllung aus Köhlererde, der aschehaltigen Erde vom Meilerplatz, die mit Holzkohlestückchen der vorherigen Brennvorgänge angereichert ist. In den Mittelschacht füllt Wagener Holz und Späne als Brennmaterial und entzündet den Meiler. Die Kunst der Köhlerei besteht in der nächsten Zeit darin, die richtige Versorgung mit Luft und Brennstoff sicherzustellen. Regelmäßig – in den ersten drei Tagen sogar alle drei bis vier Stunden – besucht Wagener seinen Meiler, füllt den Mittelschacht nach, sticht Luftlöcher in die Außenhülle oder verschließt sie wieder. Auch nachts fährt er mehrmals raus, denn der Meiler darf weder erlöschen noch zu schnell herunterbrennen.

Nach dem Anheizen wird der Mittelschacht mit einem Deckel verschlossen. Bei wenig Luftzufuhr schwelt das Holz statt zu brennen
Nach zehn bis zwölf Tagen hört der schwarze Hügel auf zu qualmen, dann ist er von oben bis unten durchgekohlt und kann ausgeräumt werden. „Es gehört viel Idealismus zur Köhlerei“, sagt Wagener. „Geld lässt sich damit nicht wirklich verdienen, aber es erfüllt mich mit Stolz, die Tradition am Leben zu erhalten. Und die Arbeit macht mir einfach Spaß.“
Ursprünglich diente Holzkohle als Energiemittel für die in der Gegend stark ausgeprägte Eisenindustrie. Walpersdorf galt als Köhlermekka, noch bis Anfang der 1970er-Jahre wurde die Kohle von hier an die Eisen-, Metall- und Walzengießereien des Siegerlandes ausgeliefert. Doch mit dem Erlöschen der Hochöfen und dem zunehmenden Einsatz von Erdgas brach der Absatz ein. In den 1970er-Jahren hat Bruno Wagener etwa 25 Meiler pro Jahr gebrannt, heute sind es noch drei bis vier. Die Holzkohle wird in der Region nun an Grillfreunde verkauft; die Nachfrage ist enorm. Das liegt an der Qualität. Der Köhler erklärt: „Gute Holzkohle wird nicht zu heiß und nicht zu schnell gebrannt, dann heizt sie später auf dem Grill lange und gleichmäßig.“ Außerdem schwört er auf die Aromen, die von der Heu- oder Grasschicht des Meilers auf die Kohle übergehen und beim Barbecue für würzigen Duft sorgen.

Aus Eiche mach Kohle. Sie kann nun zerkleinert und in 10-Kilo-Säcke abgepackt werden. Gut 300 Säcke Holzkohle entstehen aus einem Meiler
Wageners Familie übt das alte Handwerk nachweislich in der achten Generation aus, er selbst hat schon als Kind seinen Vater auf den Meilerplatz begleitet. Ob es die Walpersdorfer Kohlenmeiler noch geben wird, wenn der 67-jährige die Köhlerschaufel an den Nagel hängt? Sein Sohn kann eher nicht in seine Fußstapfen treten, denn mit einem Vollzeitjob ist das zeitintensive Köhlerhandwerk kaum vereinbar. Aber die Tradition wird in Walpersdorf nicht aussterben. „Die jungen Burschen im Ort bauen öfter mal eigene kleine Meiler auf“, weiß Wagener. „Das lernt man hier von Kindesbeinen an!“